Immer flüssig: Digitalisierung im Factoring
Vor keiner Branche macht der digitale Wandel halt: FinTechs drängen ins Factoring Business. Doch nicht nur das: Wer als kleines und mittleres Unternehmen (kurz KMU) selbst auf Factoring setzt, könnte bei der eigenen Digitalisierung die Nase schnell vorn haben.
Was ist Factoring?
Wer oft lange auf die Zahlungseingänge seiner Kunden wartet, zittert um die eigene Liquidität. Die Lösung heißt Factoring: Dabei wird von einem Dritten im Bunde, dem Factoring-Dienstleister, die offene Forderung gekauft und sofort an den Unternehmer ausbezahlt. Der Schuldner zahlt dann die Rechnung direkt an den Factoring-Dienstleister. Obendrein kann der Dienstleister das Forderungsmanagement, die Debitorenbuchhaltung sowie das Mahn- und Inkassowesen übernehmen. Die Vorteile für den Unternehmer liegen auf der Hand: Sie laufen ihrem Geld nicht mehr selbst hinterher und sparen so viel Zeit und Ressourcen. Finanzielle Risiken werden reduziert, selbst für Zahlungsausfälle haftet der Dienstleister. Der Unternehmer bleibt stets liquide. So können etwa leicht Skonti für Barzahler realisiert oder längst fällige Investitionen getätigt werden. Factoring ist allerdings nicht mit Inkasso zu verwechseln: Das Geld wird dem Unternehmer sofort ausbezahlt. Somit will der Factoring-Dienstleister die Zahlung möglichst reibungslos abwickeln und möchte in seinem eigenen Interesse eine gute Beziehung zwischen dem Unternehmen und seinen Schuldnern pflegen.
Der Markt: 210 Milliarden in 2015
Diese spezielle Form der Finanzierung bewährt sich in zahlreichen Ländern seit Jahrzehnten und eignet sich besonders für mittelständische Unternehmen. Vor allem aber macht Factoring für KMU mit starkem Wachstum oder saisonal schwankenden Umsätzen Sinn.
In Deutschland legt aktuell vor allem der Fahrzeugbau im Factoring zu. Zu den fünf Top Factoring Branchen zählt der Deutsche Factoring Verband sonst noch Handels- und Handelsvermittlung, die Hersteller von Metallerzeugnissen/ Maschinenbau, Dienstleistungen und seit kurzem die Sparte der Elektronik/elektronische Bauteile. Wachsend sind auch der Medizin- als auch der Baubereich.
Der Deutsche Factoring Verband meldete im März, dass seine Mitglieder die Umsätze 2015 um knapp 10 Prozent steigern konnten. In absoluten Zahlen sind es 20.300 Kunden, die das Factoring in der Bundesrepublik bisher nutzten und der Branche so einen Umsatz von nahezu 210 Milliarden Euro bescherten.
Auch in Österreich ist die Tendenz im Factoring-Markt laut der Raiffeisen Factor Bank seit einigen Jahren steigend. Das Umsatzvolumen lag 2015 bei rund 16 Milliarden Euro, seit 2012 entspricht dies einem Plus von 85 Prozent. Ein Treiber dürfte vor allem die unsichere Wirtschaftslage sein.
Trotz der rosigen Zahlen ist Factoring in Deutschland und Österreich immer noch ein Nischenprogramm: Mit sechs bzw. fünf Prozent des Landes BIPs, das über Factoring abgewickelt wird, ist es im Vergleich zu UK mit rund 16 Prozent und Frankreich und Italien (bis 11 Prozent) laut Raiffeisen Factoring immer noch relativ gering.
Factoring als Finanzstrategie zur Digitalisierung
Der digitale Wandel ist für kaum ein Unternehmen aufzuhalten. Nicht selten ist dieser Schritt mit schmerzhaften Transformationsprozessen verbunden. Lesen Sie dazu mehr in unserem Artikel Digitale Disruption: Vertreibung aus dem Paradies. Besonders im Segment der KMU kann dies auch eine starke finanzielle Belastung bedeuten. Kapitalengpässe sollten aber nicht der Grund sein, diesen wichtigen Umwälzungsprozess nach hinten zu verschieben. Wer als Unternehmer auf Factoring setzt, schafft so die notwendige Liquidität um in die digitale Zukunft zu investieren – ganz ohne hohe Kreditzinsen. Damit kann gerade ein kleinerer Betrieb seiner Konkurrenz einen Schritt voraus sein und sich so Marktvorteile sichern.
FinTechs: Digitalisierung im Factoring
Die Digitalisierung im Bankensektor ist in aller Munde. Im Factoring läuft schon per Definition die Verwaltung der Debitoren und Rechnungen zu 99 Prozent automatisiert, anders wären die Datenmengen nicht zu bewältigen. Dies verspricht schlanke Prozesse, die sich in günstigen Konditionen niederschlagen können. So wird Factoring aus Kundensicht eine wirkliche Alternative zum teuren Kredit.
Die Digitalisierung kann das Factoring hinsichtlich der Bonitätsprüfung jedoch noch einmal um ein Eck beschleunigen: Dauerte es früher wegen der Prüfung aller Unterlagen oft Wochen bis ein Unternehmen mit einem Factoring-Dienstleister ins Geschäft kam, so kann dies – wenn alle Daten miteinander verbunden sind- schon per Mausklick möglich sein.
Factoring könnte damit ein neues Zugpferd für Banken sein, die das ausfallende Kreditgeschäft kompensieren müssen. Allerdings ist gewiss, dass auch die sogenannten „FinTechs“ ihre Fühler danach ausstrecken. „Fintechs“ sind Start-Ups, die mittels digitaler Technologie der klassischen Bank das Geschäft abtrünnig machen. Sie picken sich einen Teilbereich des Bankgeschäftes heraus, vereinfachen die Wertschöpfungskette drastisch und bieten per Mausklick ein unkompliziertes und oft sogar besseres Kundenerlebnis. Lesen Sie hier mehr zum Thema FinTechs: Chance oder Niedergang für Banken?
Das klassische Mahnwesen ist bereits im Fokus der FinTechs: Ex-Kreditech-Chef Sebastian Diemer gründete Ende 2015 Pair. Die Software gleicht offene Forderungen mit Zahlungseingängen ab und schickt dem Schuldner mit betont freundlichen Nachrichten einen Direktlink um schnell und einfach zu bezahlen. Dies unterscheidet sich natürlich vom „echten Factoring“ – dort kauft der Factoring-Dienstleister dem KMU die offenen Forderungen tatsächlich ab. Ob FinTechs wie zum Beispiel decimo, Pagido oder Rechnung48, tatsächlich Mehrwert generieren und nun im „echten Factoring“ wirklich eine Chance haben hängt davon ab, ob sie es schaffen hinter einer netten und einfachen Benutzeroberfläche auch mit leistungsfähigen und zuverlässigen IT Systemen Qualität zu gewährleisten. Hinzu kommt: Das Factoring Business ist per se zwar hoch automatisiert, trotzdem sind die gute Beziehung zum Schuldner und eine freundliche Kommunikation ein wichtiger Erfolgsfaktor. Dazu braucht es zweifelsohne den zwischenmenschlichen Kontakt. Ob automatisierte Kommunikation dazu ausreicht, bleibt abzuwarten.