Mode- und Textilwirtschaft: digitale Wege in die Zukunft – und aus der Krise
Textil- und Modeindustrie stehen wie jede andere Branche angesichts von Digitalisierung und disruptiven Technologien der Notwendigkeit eines Wandels gegenüber. Gerade hier bietet sich dabei vielen Unternehmen aber auch eine besondere Chance, um das zuletzt schwächelnde Geschäft neu zu beleben und sich für die Zukunft erfolgreich aufzustellen.
Wenig Licht, viel Schatten
In großen Teilen der Branche herrscht seit Jahren Krisenstimmung. Während sich billige, qualitativ einfachste „Fast Fashion“ aus Fernost oder ausgewiesene Luxusmode kontinuierlich gut verkaufen, gerieten in dem breiten mittleren Segment dazwischen immer mehr Unternehmen auf Schlingerkurs. Die Finanzprobleme bei Esprit oder Gerry Weber sind dafür die prominentesten Beispiele. Ihr Niedergang steht stellvertretend für die Talfahrt der gesamten Branche: 2018 mussten die deutschen Modehändler und -produzenten bereits das dritte Minusjahr in Folge verzeichnen. Einzig die Sportartikelhersteller konnten sich jüngst noch über Zuwächse freuen.
Der Vorreiter
Besonders für Adidas läuft es sehr gut. Ein Grund dafür: Längst hat das Unternehmen aus Herzogenaurach digitale Möglichkeiten zu erfolgreichen Geschäftsmodellen ausgebaut. Bereits heute zeigt Adidas, womit Textilhersteller Kunden zukünftig wieder vermehrt anziehen und binden können. In den eigenen Stores und bei ausgewählten Partnern fertigt das Unternehmen mit 3D-Druck nach einer Laufbandanalyse individuell angepasstes Schuhwerk für Läufer an. Genau solche Personalisierungen wünschen sich viele Kunden. Diese Mass Personalization ist ein klarer Branchentrend, der durch die Digitalisierung zu wettbewerbsfähigen Preisen möglich wird. Die Technologie kann aber noch mehr und hält für viele der jüngsten Probleme in der Mode- und Textilbranche Lösungen bereit.
Die Vision der Smart Factory
Als kleiner Prototyp hat sie sich schon 2017 auf einer Frankfurter Fachmesse gezeigt – die Smart Factory oder Speedfactory, eine vollständig vernetzte Textilproduktion vom computergestützten Design über automatischen Zuschnitt bis zur Fertigung mit Digitaldruck oder Robotertechnik. Sie ist in der Lage, die Spielregeln der Textilwirtschaft von Grund auf neu zu schreiben. Die textile Smart Factory steigert die Produktivität entlang der gesamten Wertschöpfungskette und erlaubt viel schnellere Reaktionen auf globale oder regionale Nachfragen. Mit vergleichsweise wenig Aufwand kann sie einzelne Märkte individuell vor Ort bedienen. Das spart Logistik und reduziert für mehr Nachhaltigkeit außerdem die Emissionen durch Transporte um den halben Globus.
Neu: Smart Clothes
In der Smart Factory herrschen zudem die besten Produktionsbedingungen für die Bekleidung der Zukunft. Erste Vertreter dieser sogenannten Smart Clothes im Handel geben einen Vorgeschmack, welche zusätzlichen Funktionen in Kleidungsstücken bald alltäglich sein werden: zum Beispiel Jacken, Schuhe oder Shirts, die durch Bewegungs- oder Solarenergie Wearables und andere elektronische Devices mit Strom versorgen. Von feuchtigkeits- oder temperaturregulierenden Stoffen über Bekleidung mit gesundheitsfördernden Funktionen wie der Überwachung der Vitalwerte oder einer Muskelstimulation bis hin zu Sicherheitskleidung mit aktiver Beleuchtung und weiteren schützenden Elementen sind die verschiedensten smarten Techniken inzwischen weit entwickelt oder aktuell sogar erhältlich. Dabei muss niemand in der Zukunft mehr zu Kleidung von der Stange greifen.
Intelligent: Smart Services
Digitaltechnik kann jedem Kunden sein Wunschoutfit nach Maß schneidern. Smarte Spiegel in den Geschäften scannen Körperdaten, aus denen in den Speedfactorys sogleich perfekt sitzende Kleidungsstücke entstehen. Stationärer Handel und Onlineshops stehen dabei nicht mehr in Konkurrenz, sondern ergänzen sich für bessere Kundenzufriedenheit. Gleichzeitig sinkt die Rücklaufquote der Branche. Weniger Bekleidung muss aussortiert werden. Und wenn Kunden später ihre Kleidung einmal selbst ausmustern wollen, helfen digitale Labels – die bereits die gesamte Entstehungsgeschichte des Kleidungsstücks dokumentieren – dabei, die Textilien und weitere Werkstoffe schnell und gezielt in Recyclingsysteme zu überführen.
„Mode geht nur in eine Richtung – nach vorn.“
So formulierte es einmal Anna Wintour, die US-Chefin des Modemagazins „Vogue“. Ihre Aussage sollte über den kreativen Aspekt hinaus Anspruch für die gesamte Branche im digitalen Zeitalter sein. Viel näher am Kunden und seinen Wünschen, schneller, effizienter, günstiger in Produktion oder Logistik: Mode- und Textilunternehmen müssen ihre Geschäftsmodelle radikal verändern und die Digitalisierung darin adaptieren, denn allein ein angestammtes Markenimage sichert in den nächsten Jahren nicht mehr die Existenz.