Digitale Disruption: Vertreibung aus dem Paradies
Wer von der Komfortzone nicht in die Gefahrenzone rutschen will, muss sein Geschäftsmodell in Frage stellen. Doch nicht nur das.
Riesen wie Kodak, Nokia und sogar Microsoft haben gezeigt wie man es nicht macht: Kodak hatte beispielsweise bereits 1975 die erste Digitalkamera entwickelt, aber sie dann doch wieder in der Schublade versauern lassen. Das analoge Geschäft versprach die sicheren Gewinne. Der ehemalige Handy-Weltmarktführer Nokia musste sein Kerngeschäft innerhalb weniger Jahre billig an Microsoft verscherbeln, um sich überhaupt noch zu retten. Microsoft selbst versuchte mit dem Nokia Deal wieder Fuß im Smartphone Markt zu fassen. Denn das mobile Internet hatte Microsoft unterschätzt. Alle drei Beispiele haben eines gemeinsam: Wer sich zu lange auf bestehenden Erfolgen ausruht, rutscht leicht von der Position des Marktführers ab und läuft im schlimmsten Fall Gefahr in die Bedeutungslosigkeit zu verschwinden.
Der Harvard Ökonom Clayton Christensen sprach in seinem Buch „The Innovators Dilemma“ bereits vor 20 Jahren von „disruptiver Innovation“. Er meinte damit Neuerungen, die bestehende Geschäftsmodelle unterbrechen oder vollständig verdrängen. Bekannte Beispiele sind die Verdrängung der analogen Fotografie durch die digitale oder das Ende der VHS Kassette durch die DVD. Gerade in den letzten 20 Jahren häuft sich die Disruption ausgelöst durch die digitale Revolution.
Welche Branchen sind als nächstes dran?
Zuerst hat es die Tech Branche (u.a. Nokia, Microsoft) selbst getroffen. Jetzt werden erstmals analoge Sparten von der digitalen Disruption erfasst. Die Angreifer bieten oft flotteren, günstigeren und besseren Service als die Konkurrenz: Wir sehen dies etwa in der Reiserbranche, wo Airbnb private Zimmer vermittelt und so den Hoteliers ein Stück vom Kuchen klaut. Ähnliches Schicksal erleidet der Handel mit Konkurrenten wie Amazon oder Alibaba. Auch das Taxigewerbe bleibt nicht unverschont. UBER vermittelt private Fahrer schneller, zuverlässiger und günstiger an den Fahrgast.
Nur die Pharma-, Gesundheits-, und Energiebranche wähnt sich noch in -womöglich falscher- Sicherheit, stellt der FOCUS Chefkorrespondent für digitale Wirtschaft Dr. Holger Schmidt fest: „Im Gesundheitswesen wird die Vernetzung zwischen Arzt und Patient erhebliche Vorteile bringen, vor allem bei der Überwachung chronisch Kranker.“ Auch in der Energiebranche sind Potentiale erkennbar, so Schmidt, denn ihr notorisch schlechter Kundenservice lässt viel Raum für Verbesserung.
Böses, böses Internet?
Und genau hier liegt die eigentliche Disruption: Start-Ups schauen sich das Kundenbedürfnis genau an und versuchen dieses möglichst unkompliziert zu erfüllen. Etwas, das auch die etablierten Branchenführer längst hätten tun können. Es ist nicht das Internet per se, das bestehende Geschäftsmodelle gefährdet.
In einer Studie der Business School IMD und Cisco, so Holger Schmidt, zeichnet sich eine digitale Kluft zwischen den Unternehmen ab, die den fundamentalen Charakter der digitalen Umwälzung in ihrer Branche erkennen und denen, die Digitalisierung lediglich als technisches Werkzeug sehen. „Die digitalen Champions handeln konsequent auf strategischer Ebene und verstehen die tiefgehenden Konsequenzen für das Kundenverhalten, den Umgang mit Mitarbeitern und die Arbeitsweise des Unternehmens.“
Der Feind ist nicht im eigenen Bett
Wenn die Etablierten eine App in Auftrag geben oder ihrer Führungsriege Dienstreisen ins Silicon Valley sponsern, sei das einfach nicht genug. Das sagt Christoph Keese, Executive Vice President von Axel Springer, ein Unternehmen, das selbst von der digitalen Revolution betroffen ist: „Man muss sich trauen dorthin zugehen, wo man sich selbst und sein Geschäftsmodell sogar zerstört. Kein Wunder, dass die wahre Disruption oft von Branchenfremden kommt.“
Branchenfremde mischen zum Beispiel jüngst das Bankgeschäft in Deutschland auf: Sogenannte Fintechs (kurz für Financial Technology) drängen sich zwischen Bank und Kunde, bieten eine simple und günstigere User Experience. Wie es die Ironie will, soll gerade Bill Gates einmal gesagt haben: „Banking is necessary, banks are not“. Ob Fintechs die Macht haben Banken auszuhebeln, wird sich zeigen.
Bewusstsein da, aber zu wenig Handlung
In der Studie von Cisco und IMD wurden 941 Business Leader aus zwölf Branchen befragt. Diese glauben, dass im Durchschnitt vier von zehn etablierte Unternehmen in ihrer jeweiligen Sparte durch digitale Disruption in den nächsten fünf Jahren um Marktanteile fürchten müssen. Trotzdem bekommt das Thema in 45 Prozent der Firmen keine oder nicht genug Aufmerksamkeit auf Vorstandsebene. Nur 25 Prozent der Studienteilnehmer sehen sich als proaktiv.
Christoph Keese empfiehlt Firmen, sich viel mehr zu überlegen, wo genau ihr Mehrwert liegt. Denn, so Clemens Fuest im Interview mit Holger Schmidt: „Digitalisierung hat erhebliche Konsequenzen für das Wachstum. Unser langfristiger Wohlstand hängt davon ab, dass wir die Digital-Technologien wirklich einsetzen. Das galt schon für die Dampfmaschine und nun eben für die Digitalisierung.“
Digital Leadership kann mit Hilfe eines digitalen Fachbeirates den notwendigen Treiber und das immer wichtiger werdende Know-How bekommen. Mehr zum Thema erfahren Sie in unserem Beitrag „Der 10 Punkte Plan für die Initialisierung eines Digitalen Beirats.“