Die etwas andere Moderevolution – Digitalisierung und Nachhaltigkeit im Fair Fashion Business
Im Mode- oder Textilbereich gab es schon lange keine große Revolution mehr. Zuletzt war es der Mini-Rock in den Sechzigerjahre, der tatsächlich noch alles radikal auf den Kopf stellte. Ein ebenso tiefgreifender Wandel vollzieht sich gerade wieder in der Branche – wenn auch nicht auf stilistischer Ebene wie damals. Aber die Digitalisierung wird das Fashion-Geschäft genauso von Grund auf verändern. Dieser Wandel bringt mehr Kundenfokus, Effizienz, aber auch Nachhaltigkeit, die heute zunehmend ein ähnlich wichtiges Verkaufsargument bildet wie sonst eine gute Passform. Selbst diejenigen, die sich schon immer auf Fair Fashion – nachhaltige, ökologische und faire Mode – verstanden haben, können durch Digitalisierung noch vieles besser machen.
Sieben Beispiele:
#1 Design und Entwürfe
Der klassische Weg eines Modestücks bis zur Freigabe für die Großproduktion in einer Kollektion ist bei allen Modeherstellern mühsam und ressourcenaufwendig. Digital funktioniert der Prozess Schritt für Schritt viel besser, effizienter und nachhaltiger. Design oder Entwürfe können genauso gut in Grafikprogrammen entstehen wie auf dem Zeichenblatt. Damit stehen die Skizzen und Ideen sofort für die weitere Prozesskette zur Verfügung. Die digitale Technik erlaubt es dabei außerdem, Farben oder Muster beliebig und naturgetreu auszuprobieren, ohne tatsächlich noch echte Kleidungsstücke zur Auswahl schneidern zu müssen. Für eine gute Passform liefern Datenbanken die durchschnittlichen Körpermaße der Zielgruppe, die an anderen Stellen zuvor mit Bodyscannern erfasst wurden. Komplett digital entsteht so in kürzester Zeit eine fertige Kollektion, die alles mitbringt, um sich gut zu verkaufen, statt zum Ladenhüter zu werden, der später entsorgt werden muss.
#2 Kundenorientiert Mode produzieren
Die schon erwähnten Bodyscanner sind eines der großen Themen in der Diskussion um den digitalen Wandel in der Modebranche. Sie ermöglichen es, individuell jeden Körper zu erfassen und mit diesen Daten maßgeschneiderte Kleidung zu produzieren, die am Ende wirklich getragen wird, weil sie sitzt wie eine zweite Haut. Große Unternehmen, zum Beispiel Adidas, nutzen die Technik schon teilweise, um angepasste Laufschuhe in bestimmten Stores anzufertigen. Kleinere Labels oder die Fair Fashion-Branche haben in aller Regel nicht die finanziellen Ressourcen, um diese Digitaltechnik selbst flächendeckend anzubieten, Aber von diesen kleinen Playern gibt es sehr viele und so erscheint es nur noch als Zeitfrage, bis Anbieter ein landesweites Scanner-System installieren, das alle Modeproduzenten günstig nutzen können. Es besteht gute Hoffnung, dass derart individualisierte Kleidung viel häufiger und länger getragen wird als Mode aktuell. Denn zuletzt ist Bekleidung mehr und mehr zum wenig genutzten Wegwerfartikel und damit zu einer besonderen Belastung für Mensch und Umwelt geworden.
#3 Abfälle vermeiden
Auch ohne hundertprozentig materialeffizienten 3D-Druck kann die Digitalisierung die Textilwirtschaft durch Abfallvermeidung deutlich nachhaltiger machen. Schlechte Materialqualität oder manuelle beziehungsweise manuell justierte Zuschnitte sorgen für einen hohen Ausschuss, wenn Kleidungsstücke entstehen. Teils reicht es dann bei fertigen Stücken am Ende nicht für die Qualitätskontrolle und schon während der Herstellung gehen durch ineffiziente Zuschnitte aus den Materialträgern viele wertvolle Stoffe verloren. Digitalisierte Abläufe senken diese hohen Ausschussquoten und Abfallberge. Sind die Materialien ab Anbau, Gewinnung oder Recycling exakt erfasst, lässt sich vollautomatisiert durch IT deren Qualität und Verwertbarkeit beurteilen. Was die Ansprüche erfüllt, wird danach ebenfalls mit digitaler Hilfe so exakt und effizient wie möglich genutzt oder ausgeschnitten, um den Abfallberg nach dem Zuschnitt so klein wie möglich zu halten.
#4 Mit Digitalisierung kann Fair Fashion neue Modebereiche erschließen
Der Fokus auf nachhaltige Materialien, eine ökologische Herstellung und faire Arbeitsbedingungen zu vertretbaren Marktpreisen hat das Fair Fashion Business bisher aus manchem Modebereich praktisch ausgeschlossen – zum Beispiel bei der beliebten Jeans-Mode. Deren gefragte Looks oder Waschungen ließen sich bisher in der Mehrheit nur unter erheblichem Ressourceneinsatz oder mit giftigen chemischen Zusätzen erzielen. Die gesundheitsschädliche und zudem arbeitsintensive Produktion findet deswegen überwiegend weit abseits der Abnehmerländer unter häufig fragwürdigen Bedingungen statt. Heute können computergesteuerte Laser viele dieser Techniken sehr gut, effizient, ökologisch und ohne viel Personal ersetzen. So lassen sich auch Jeans endlich fair und umweltverträglich herstellen.
#5 Mehr Recycling für noch mehr Nachhaltigkeit
Trotz Second-Hand-Shops oder Altkleidersammlungen fällt die echte Recyclingquote im Mode- und Textilbereich sehr bescheiden aus. Fair-Fashion-Anbieter greifen zwar überwiegend auf nachhaltig gewonnene Baumwolle zurück, verbrauchen damit letztlich aber in vielen Fällen auch einen primären Rohstoff, anstatt recycelter Werkstoffe. Digitale Technik kann diese Situation umkehren und entscheidend dazu beitragen, dass mehr aussortierte Kleidung wieder zu neuer Mode wird. Die gesamte Entstehungsgeschichte eines Kleidungsstücks lässt sich leicht erfassen und in Datenbanken dokumentieren. Dieser Prozess kann Kunden zunächst Informationen und Gewissheit zur nachhaltigen Herstellung der gekauften Kleidung geben, er muss aber nicht am Point-of-Sale enden. Das verkaufte Kleidungsstück kann passiv in einer Datenbank verbleiben und wird erneut aktiviert, wenn es die Besitzer eines Tages wieder abgeben möchten. Dazu erfassen es Recyclingstellen, öffnen die Historie seiner Materialzusammensetzung oder -herstellung und leiten es den Modeherstellern zu, die solche Stücke für neue Produkte suchen. Damit gesteigerte Recyclingquoten senken die Umweltbelastung durch die Modeproduktion enorm und selbst faire, nachhaltige Erzeuger können durch Recycling ihren ökologischen Fußabdruck noch einmal verringern.
#6 Kürzere Wege für geringere Umweltbelastungen
Während in weiten Teilen der Textilwirtschaft lange Transportwege für Rohstoffe oder fertige Bekleidung noch bewusst in Kauf genommen werden, achtet der Fair-Fashion-Bereich schon lange darauf, auch hier seinen Impact zu minimieren. Trotzdem muss er mitunter noch lange Wege überbrücken. Digitalisierung kann diese Distanzen erheblich verkürzen. Durch 3D-Druck wird es möglich, Mode und Bekleidung in wenigen Minuten dort herzustellen, wo sie gerade gewünscht wird. Dabei sind verschiedene Konstellationen denkbar. Ein Hersteller, der in einem bestimmten Land sehr gefragt ist, richtet dort eine kleine digitalisierte Produktion ein oder nutzt Mietangebote, die individuell und on demand Stücke aus der Kollektion herstellen. Es sind aber genauso noch lokalere Lösungen möglich – zum Beispiel durch 3D-Drucker für Bekleidung in jeder größeren Innenstadt, an die bestellte Kleidungsstücke über das Datennetz zum Mitnehmen ausgeliefert werden.
#7 Noch mehr Fairness bis zu den Wurzeln
Selbst mit höheren Recycling-Quoten oder dem größeren Einsatz von ökologisch günstigeren Fasern wird die Textilbranche immer auf die Zufuhr neuer natürlich gewonnener Baumwolle oder ähnlicher Materialien angewiesen sein. Deren Produzenten leben größtenteils fernab der großen Märkte in Schwellenländern oder der Dritten Welt. Für größere Betriebe dort stellt es meist kein Problem dar, sich mit leistungsfähiger Technik global zu vernetzen, aber genauso gibt es viele kleine Erzeuger und Einzelpersonen oder Familien, denen das nicht möglich ist. Schon jetzt gibt es Netzwerke und Anwendungen, die auch sie allein mit einem Smartphone in die weltweiten Bestell- und Lieferprozesse der Branche einbinden wollen, ihnen die Logistik abnehmen oder erleichtern und sichere Zahlungssysteme zur Verfügung stellen. Solche Anwendungen sind aber noch deutlich ausbaubar, um auch wirklich jedem, der auf seinem kleinen Stück Land einen profitablen Anbau oder Tierwirtschaft betreiben will, einen Zugang zu eröffnen, um am weltweiten Zulieferungsgeschäft der Textilwirtschaft teilzunehmen. Diese Vernetzung wird auch notwendig sein, um den Entstehungsprozess einzelner Kleidungsstücke besser und sicherer zu dokumentieren – für eine gezieltere Recycling-Steuerung oder zur besseren Information der Käufer zur Herkunft ihrer Mode.
Diese sieben Beispiele zeigen nur ansatzweise, welche Chancen die Digitalisierung für die Textilbranche und besonders Fair Fashion bietet. Um ihr volles Potenzial – besonders für mehr Nachhaltigkeit und den Erhalt einer lebensfreundlichen Welt – zu erschließen, gilt es, sie konsequent und durchdacht zu nutzen.